Sinne

Der arme November

Es war einmal ein Monat mit 30 Tagen, die recht grau, bewölkt, kalt, nebelig und feucht daherkamen. Keiner wollte mit ihnen sein. Manche flohen sogar in andere Landstriche, wo die Verwandten des armen Novembers ganz anders, scheinbar liebenswerter aussahen. Der arme November war so traurig, weil Menschen in seinem Monat auch viel trauriger waren als sonst. Ja, er bedeutet für einige sogar eine äußerst depressive Zeit, in der Menschen nicht mehr leben möchten.

Der arme November liebt die sich zurückziehende Natur, wenn die Säfte in den Speicher gehen. Er liebt es, wenn es schön nasskalt, klamm und immer etwas diesig ist. Wie herrlich und welch Erlebnis ist es dann, wenn doch unerwarteterweise plötzlich mal die Sonne durch das Wolkendach hindurch blitzt. Welch sinnliche Freude steckt darin, wenn die kalten Wangen, die durchfrorenen Gliedmaßen einkehren in die warme Stube. Wie wohltuend und lecker ist jetzt gerade der heiße Tee, die Wärmflasche und die weiche Decke. Auch Kerzen machen doch im Sommer ganz und gar keine gute Figur. Aber jetzt – wie schön schimmert die Flamme. Wie auffallend ist jedes Licht in diesem besonders dunklen Monat. Machen spannende Romane nicht erst Spaß, wenn der dichte Nebelschleier die Sicht verdeckt und die Rätsel der Geschichte sich noch nicht offenbaren? Wer hat den Regen noch nicht als sinnliches Erlebnis entdeckt, noch nie gerochen, wie Regen riecht, noch nie gehört, wie gleichmäßig die Regentropfen trommeln auf Dachfenster und Schirme? Wer hat noch nie bewusst Kindern zugesehen, wie sie voller Absicht und Hingabe in die Pfützen hüpfen oder die Tropfen vom Himmel mit den Zungen auffangen möchten? Wie unvergesslich romantisch kann ein Spaziergang im Regen für Verliebte sein unter einem Regenschirm.

Der arme November, der gar nicht arm ist, ist der Vorbote vor dem Freudenmonat, dem Dezember. Im Dezember, ja da wird die Ankunft der christlichen Botschaft zelebriert und der Dezember lässt tausend Lichter leuchten. Doch der November hat auch seinen himmlischen Sinn. Er liegt zwischen Festmonat Dezember und dem goldenen Herbst, der bunt in seinen Farben ist, wo die herabfallenden Blätter zu sehen sind und die Blätter unter den Füßen rascheln. Und genau da gehört er auch hin und genau da ist er so wertvoll. 

Im Kreislauf des ewigen Lebens gibt es vielfältige Zustände, die alle gelebt und in vollem Masse erfahren werden wollen. 

Wie geht es uns, wenn es draußen nur noch dunkel ist und kaum mehr richtig hell wird? 

Bleibt es bei uns innen seelisch warm, wenn es draußen kalt wird?

Was machen wir, wenn es sich für uns unangenehm feucht und klamm anfühlt? 

Was geschieht mit uns im Inneren und was machen wir daraus?

Welche Bedeutung geben wir dem November, diesem Monat des kostbaren Übergangs?

Schauen wir aber mit Anerkennung und Liebe auf den November und den November in uns und vertrauen wir auf die Wiederkehr des Frühlings, des Lichts und des sichtbaren Glücks, dann können wir unser unsichtbares immerwährendes Glück finden und es bewahren durch alle 12 Monate hindurch.